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  • AutorenbildIsrael Reiseleiter

Jerusalem vor 2000 Jahren

Aktualisiert: 5. Mai 2023

Willkommen im Jerusalem aus der Zeit König Herodes dem Großen und Jesus – genau das ist das „Modell Jerusalems am Ende der Zeit des Zweiten Tempels“ im Israel Museum.

Bevor man sich in das Getümmel der Altstadt stürzt, empfehle ich einen Besuch im Israel Museum. Wer mit Reiseleiter kommt, erfährt alles, und noch so einiges mehr vom Guide. Wer alleine hier her kommt, sollte im Museumsshop gleich am Eingang ein kleines Büchlein auf Deutsch zu ILS 35 erstehen, dass das Modell sehr gut erklärt, oder man nimmt den Audio-Guide. Denn nur den Beschriftungen am Modell zu folgen wird es doch arg „trocken“.

Hans Kroch

Der Initiator dieses Modells von Jerusalem von vor 2000 Jahren war der deutsche Bankier Hans Kroch. Geboren 1887 in Leipzig, wurde Kroch von den Nazis erst freigelassen nachdem er auf seine Bank verzichtete. Nachdem seine Frau in Ravensbrück ermordet wurde, floh er mit seinem Sohn nach Argentinien, und anschließend nach Israel – hier starb sein Sohn im Unabhängigkeitskrieg.

In Israel wurde aus dem Bankier ein Bauunternehmer und er gründete in den 50-ger Jahren das Holyland Hotel. „Wenn Juden nicht zu den heiligen Stätten gehen können, kommen die heiligen Stätten eben zu ihnen“ sagte Kroch, denn Jerusalem war geteilte Stadt, die Altstadt war von Jordanien besetzt, das jüdische Viertel und seine Synagogen dort von den Arabern systematisch zerstört worden.

Ab 1962 entstand auf dem Hotelgelände im Maßstab 1:50 das Modell und wurde 1966 eingeweiht, und gewidmet seinem gefallenen Sohn. Angefertigt wurde das Projekt vom Archäologen der Hebräischen Universität Prof. Michael Avi-Yonah und seiner Frau Eva, einer Künstlerin.

Ausgrabungen des 19 und bis fast Mitte des 20. Jahrhunderts, sowie antike Quellen, unter anderem die Bücher von Josephus Flavius „Jüdische Altertümer“ und „Jüdischer Krieg“, aber auch der jüdische Talmud und das christliche Neue Testament wurden von Avi-Yonah heran gezogen.

Das Modell

Es wurden die Materialien verwendet, die, wie beschrieben in diversen Quellen oder angenommen, im Jerusalem vor 2000 Jahren zur Zeit Jesus und König Herodes beim Bau der verwendet wurden: Kalkstein als dominantes Material – direkt vor der Haustür waren die Steinbrüche, für den Königspalast und für den Tempel Marmor, Gold für das Allerheiligste und für die Tore dort hin. Kupfer, Bronze, Eisen und Zedernholz wurden ebenso mit verbaut.

Große Teile der israelischen Öffentlichkeit wollte in dem Modell das Abbild des historischen Jerusalems im 1. Jahrhundert vor und bis zur Zerstörung der Stadt und des Tempels durch die Römer im Jahr 70 der Zeitrechnung sehen.

Natürlich fragt sich ein jeder, ist das Modell wirklich authentisch, können wir in ihm zum Beispiel den genauen Kreuzweg Jesus erkennen? Die unromantische Antwort ist von mir leider ein klares Nein. Avi-Yonah hat sich bei der Gestaltung der Gebäude und Anlagen auch nach antiken Stätten aus Nordafrika und Europa leiten lassen. Vergessen darf man nicht, dass die zahlreichen Ausgrabungen in der Altstadt von Jerusalem – wie wir sie heute kennen - erst nach dem 6-Tage Krieg vom Juni 1967 durchgeführt werden konnten. Somit musste das Ehepaar Avi-Yonah eben auch eine Portion archäologische und künstlerische Fantasie in das Modell einbringen.

Josephus Flavius schrieb über die intensive Nutzung von Marmor, da es weder im antiken und modernen Israel Marmor gab oder gibt, hätte dieser importiert werden müssen. Bis heute können Archäologen dieses Baumaterial in Jerusalem nicht bestätigen, und somit bleibt die Frage offen ob Marmor am Tempel und Palast verbaut wurde. Ebenso die Frage ob schon Dachziegel im ersten Jahrhundert genutzt wurden – vermutlich eher nicht.


Der Tempel

Der Tempel des Herodes, der Prachtbau der Antike, hat sich verselbstständigt, und das nicht immer im Sinne von Prof. Avi-Yonah, späteren Archäologen und dem Israel Museum.

Im Freizeitpark Holyland Experience in Orlando (Florida) steht ein Tempel im Maßstab 1:1, und die frappierende Ähnlichkeit mit dem Avi-Yonahs ist nicht zufällig. Die jüdisch-orthodoxe Chabad Bewegung nahm den herodianischen Tempel des Modells als Bild für ihren erträumten Dritten Tempel. Einige Evangelikale und/oder politisch extreme Bewegungen verbreiten Darstellungen mit dem Modell-Tempel auf dem Tempelberg anstelle des Felsendoms. Dieser Missbrauch geschieht ohne Wissen und Genehmigung der Nachkommen Hans Krochs, und des Israel Museums.


Der Umzug ins Israel Museum

Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 ging der Tourismus in Israel stark zurück. Der Enkel von Hans Kroch wollte das Hotel aufgeben, und das Land für ein Wohnbau Großprojekt nutzen. Selbstverständlich war das Israel Museum begeistert diesen „Hingucker“ zu übernehmen. Aus meiner Sicht kommt das Modell hier auch viel besser zur Geltung als unter dem Schatten der Bäume des Hotel Gartens.

Ende 2005 wurde das Modell in 100 Teile zerlegt und im Israel Museum aufgebaut, mit der korrekten Ausrichtung der Himmelsrichtung und den topographischen Details. Die Kosten von mehreren Millionen Schekeln wurde von den Nachkommen Krochs übernommen, und sie sind bis heute der Besitzer – haben somit auch ein Mitspracherecht betreffs Anpassungen aufgrund neuer archäologischer Erkenntnisse.

Anpassungen neuer Erkenntnisse

In den über 50 Jahren intensiver archäologischer Ausgrabungen im jüdischen Viertel, an den äußeren Rändern des Tempelberg, sowie der Davidstadt, haben sich unzählige neue Erkenntnisse ergeben. Die Frage war, und ist bis heute, ob das Modell aktualisiert werden soll um dem Rechnung zu tragen, und damit authentischer zu sein. Natürlich hat das Modell aus heutiger Sicht eine Reihe von archäologischen „Macken“ – nur würde ich meine Gäste nicht auf einzelne davon hinweisen, würden sie es nicht merken. Man muss schon Fachmann sein, um diese zu erkennen.

In den Jahrzehnten seit seiner Erschaffung, gab es immer wieder Korrekturen an bestimmten Stellen. Trotzdem entspricht das Modell nicht dem neuesten Stand der Wissenschaft. Prof. Avi-Yonah selber befürwortete, dass das Modell kontinuierlich jedem neuen Erkenntnisstand angepasst werden müsse. Er selbst ging mit dem Hammer in der Hand ran um Mauern, Brücken und Treppen zu verändern.

Die Tochter von Hans Kroch bat einen Schüler Avi-Yonahs nach dessen Tod das Modell wissenschaftlich auf dem Laufenden zu halten. Das Israel-Museum schloss Korrekturen zwar nicht grundsätzlich aus, betont aber dass das Modell nicht in erster Linie ein exaktes Bild der archäologischen Kenntnisse über die antike Stadt vermitteln soll, sondern ein Kunstwerk aus der Zeit des geteilten Jerusalems und des jungen Staates Israels ist. So wie man historische Landkarten heute als Kunstwerke und nicht als Dokumentationsquelle sieht.

Basierend auf Josephus Flavius, kreierte Avi-Yonah ein Hippodrom und ein Theater – ein deutlich kleineres Theater wurde 2018 erst unweit der Klagemauer entdeckt. Somit steht das Theater am Modell nicht genau am richtigen Ort und ist zu groß, aber vielleicht gab es in der antiken Großstadt ja noch ein großes Theater, das bis heute nicht gefunden wurde? Das Hippodrom wurde beim Wiederaufbau im Israel Museum abgebaut, denn die Ausgrabungen nord-westlich der Davidstadt belegen, das es dort wie im Modell gezeigt, nicht gewesen sein kann – wo es gestanden hat bleibt eine offene Frage.

Ebenso ist die Frage, ob die Antonia Festung zu groß dargestellt wurde. Entweder ist der ausgegrabene Lithostrotos der Zions Schwestern aus dem Innenhof der Festung – dann ist die Größe etwa richtig, oder war es der Vorplatz der Antonia – dann wäre sie zu groß. (Übrigens ist der Lithostrotos aller Wahrscheinlichkeit aus der Zeit König Hadrians ab 135 der Zeitrechnung).


Zum Schluss

Auch wenn das Modell nicht den neuesten archäologischen Erkenntnissen entspricht, lohnt sich ein Besuch definitiv. Es macht dem Besucher, egal ob religiös oder historisch interessiert, leichter verständlich wie und was die Stadt Jerusalem vor 2000 Jahren war. Daher empfehle ich vor dem Besuch der religiösen und archäologischen Stätten in und um die Altstadt herum. sich das Modell anzusehen.

Selbstverständlich hat das Israel Museum auch noch die erstklassige archäologische Abteilung, den ausführlichen Bereich der Judaika, und moderner Kunst im Innen- und Außenbereich, sowie dem Schrein des Buches. Alle diese Abteilungen sind selbstverständlich im Eintrittspreis mit enthalten. Hier der Link zum Israel Museum für weitere Infos: https://www.imj.org.il/en

Würde mich freuen, wenn Ihr Interesse an meinen Jerusalem und Tel Aviv Stadtrundgängen jetzt geweckt wurde, auf Wiedersehen hier in Jerusalem.




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