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  • AutorenbildIsrael Reiseleiter

Jerusalem: Mishkenot Shaananim - Auszug aus den Mauern

Aktualisiert: 9. Sept. 2023

Kaum vorstellbar, das vor 160 Jahren unsere Hauptstadt Jerusalem nur aus dem etwa einen Quadratkilometer kleinen Flecken der heutigen Altstadt bestand. Aber erst um 1860 begann der Auszug der Juden, und später auch der Christen und Moslems, aus den Mauern der Altstadt: Der Beginn der Neustadt - oder auch West-Jerusalem genannt.

Moses Montefiore

Hinter dem Auszug aus den Mauern stand ein Mann mit dem Namen Sir Moses Chaim Montefiore (1784–1885) aus London. Durch eigene harte Arbeit im Teehandel, als Bankier und an der Londoner Börse machte Montefiore sein Vermögen. Im Alter von nur 40 Jahren zog er sich aus seinen Geschäften zurück, um sich seiner philanthropischen Arbeit zu widmen.

Alles an ihm war riesig: Seine Größe als Basketballspieler und die breiten Schultern, sein Reichtum, und seine Energie. Montefiore war ein Mann von leidenschaftlicher Menschlichkeit und tiefen religiösen Gefühlen. Für jüdische Zwecke unternahm er zahlreiche Reisen durch Europa, in den Nahen Osten und nach Nordafrika.

Montefiore sandte Hilfe nach dem Erdbeben von 1837 in Safed und Tiberias, bei dem über 5.000 Juden ums Leben kamen. Er gründete Unterkünfte für die Armen, Siedlungen in Galiläa und bei Jaffa, sowie das erste jüdische Viertel außerhalb der Stadtmauern - Mishkenot Shaananim im Jahr 1857.

Die Anfänge

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts dienten die alten Stadtmauern als Grenzen für Juden. Außerhalb davon stellten arabische Räuber eine zu ernsthafte Bedrohung für jeden abenteuerlustigen Händler dar. Moses Montefiore erkannte, dass Land außerhalb der Mauern gekauft werden musste, um der jüdischen Gemeinde die Entwicklung zu garantieren und Platz für den wachsenden Strom von Einwanderern von Juden zu schaffen, die vor Pogromen in Russland und Syrien flüchteten.


Auf seiner vierten Reise nach Palästina rief er 1855 den türkischen Sultan Abdul Hamid in Konstantinopel an und erhielt das Recht, Grundstücke zu kaufen und ein Krankenhaus- und Wohnviertel außerhalb der Mauern zu errichten. Das Geld für dieses Projekt kam von Judah Touro, einem Juden aus New Orleans, der Montefiore beträchtliche Summen für die Armen Jerusalems hinterließ.


Die Windmühle und das neue Viertel wurden 1857 errichtet. Nach dem Vers Jesaja 32:18 „Mein Volk wird an einer Stätte des Friedens wohnen, in sicheren Wohnungen, an stillen und ruhigen Plätzen“ hieß es Mishkenot Sha‘ananim - „friedliche Wohngegend“. Tatsächlich gab es hier im Laufe der Jahrzehnte viel mehr „Action“ als Ruhe.

Die Windmühle

Heute ist die weiße Windmühle der Wahrzeichen von Jerusalem, und gut sichtbar vom Jaffa Tor. Errichtet wurde sie auf dem Land „Kerem Moshe ve Yehudit“ (Moses und Judith Montefiore - Weinberg).

Die Bauteile wurden von London nach Jaffa geschickt und mit Maultieren und Kamelen nach Jerusalem gebracht. Nachdem die ersten Siedler in die Häuser gezogen waren, begann die Windmühle 1860 den Betrieb. Sie lieferte Arbeit für die Neuankömmlinge und senkte den Mehlpreis für die jüdische Bevölkerung. Erfahrene Müller aus Großbritannien betrieben die Mühle 25 Jahre lang. Leider war es keine holländische Mühle, und sie war oft defekt, und mitunter schickten die Briten die falschen Ersatzteile. Deshalb wurde sie dann gut 60 Jahre später stillgelegt.

Die Araber entwickelten einen Geschmack für das Schmieröl an den Lagern und leckten daran. Man befürchtete, dass die Mühle aufgrund des mangelnden Schmieröls, und der daraus resultierenden Reibung abbrennen könnte. Deshalb lag immer ein Stück Schweinefleisch im Ölfass ......

Im Frühjahr 1948 wollten die Briten die Mühle mit der "Operation Don Quixote" in die Luft jagen, weil die Haganah von oben auf arabische Angreifer feuerte. Ein pro-jüdischer britischer Offizier hat absichtlich die Menge an Sprengstoff falsch berechnet, und die Mühle blieb stehen. Während des Unabhängigkeitskrieges diente sie als israelischer Beobachtungspunkt, allerdings zerstörte ein jordanischer Mörser den oberen Teil.

Die Mühle wurde 2012 von holländischen Experten massiv renoviert und mahlt heute wieder Mehl. Sie beherbergt ein Museum, gewidmet Sir Moses Chaim Montefiore. Neben der Mühle befindet sich eine Nachbildung von Montefiores Kutsche, das Original verbrannte bei einer Brandstiftung 1986.

Die "friedlichen Wohnungen"

Montefiore nahm einen Londoner Architekten mit. Zwei Reihen von Wohnungen in gleicher Zahl für Aschkenasim und Sephardim wurden gebaut, samt Synagoge und Bäckerei. Jede Einheit hatte 34 Quadratmeter, bestand aus zwei Räumen und einen kleinen Garten für den Gemüseanbau, ganz wie in der Arbeiterklasse in England.

Anfangs waren in den Wohnungen Weber untergebracht, aber das war ein Frauenjob, und somit waren sie besonders gefährdet durch die Überfälle der Araber. Somit nutzte man es als Krankenhaus, aber das Projekt schlug fehl, da die Patienten, Schwestern und Ärzte den Banditen hilflos ausgeliefert waren. Danach ließen sich hier Handwerker nieder, hatten ihre Werkstätten und kehrten für die Nacht in die Mauern der Stadt zurück. Die Wohnungen waren umsonst, und es gab sogar Geld wenn dort sich einer nieder ließ, trotzdem war es zu Beginn schwierig Menschen zu finden, die bereit waren, dort zu leben. Ein hoher Steinzaun, ein starkes Eisentor und eine 24-Stunden-Wache sorgten einigermaßen für Sicherheit.

Um 1875 zogen die ersten Nachtbewohner ein, die körperlich fit genug waren, um potenzielle arabische Plünderer zu vertreiben. Inzwischen waren die ersten Häuser in Nahlat Shiva, und Kerem Avraham entstanden, und die Sicherheit hatte sich insgesamt verbessert.

Die Epidemie von 1886 brachte die wirkliche Veränderung mit sich, die Reichen zogen in die neuen Häuser in der Neustadt Jerusalems.

Unabhängigkeitskrieg 1948

Vor dem Unabhängigkeitskrieg wurde von Mishkenot Sha‘ananim ein Tunnel unter der Hebron Road zum „British Eye Hospital“ (dem heutigen Mt. Zion Hotel) gegraben. Ein auf dem Boden liegendes Stahlkabel zwischen dem Zionsberg und der Augenklinik wurde nachts gespannt, und so brachte die „Seilbahn“ Lebensmittel und Waffen, und manchmal sogar Menschen zum und vom Berg Zion, und in das belagerte jüdische Viertel der Altstadt.

Während des Krieges und bis zum Sechs Tage Krieg im Juni 1967 schoss die jordanische Armee ins Wohnviertel und richtete massiven Schaden an. Nur die ärmsten Bewohner blieben zurück, denn wer wollte schon ständig vor den Gewehrkugeln in Deckung gehen, und so wurde es zum Slum.


Nach 1967

Anfang der siebziger Jahre wurde dann intensiv restauriert. Die eine Reihe wurde in das Maurice Dwek Gästehaus für Künstler, Autoren, Intellektuelle und Wissenschaftler aus Israel und der ganzen Welt umgewandelt, in der anderen Reihe zogen ein das Jerusalem Musik-Zentrum, und die beiden erstklassigen Restaurants Touro und Montefiore – eine bessere Aussicht und Ambiente kann man zum Essen einfach nicht haben.

Neugierig geworden? Dann kommen Sie doch mit mir auf meinen Stadtrundgang „Auszug aus den Mauern“. Aber vielleicht haben Sie ja auch Interesse an meinen anderen Tagestouren in Jerusalem und Tel Aviv.


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